13.10.2022

Wie geht es den Bäuerinnen und welche Themen beschäftigen sie?
BRUNSCHMID: Die Frage lässt sich so nicht beantworten, denn es gibt nicht „die“ Bäuerin. So unterschiedlich wie die Betriebe sind, so unterschiedlich ist auch das Berufsbild der Bäuerin. Aber eines ist sehr erfreulich: Die Arge Österreichischer Bäuerinnen führt alle zehn Jahre eine Bäuerinnenbefragung durch und auch die jüngste davon zeigt, dass ein Großteil der Frauen in der Landwirtschaft mit ihrer Berufswahl recht zufrieden ist und mit niemandem tauschen möchte. Als positive Aspekte werden in erster Linie die gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Naturverbundenheit und die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit geschätzt. Andererseits ist aber gerade die enge Verflechtung von Familie und Arbeitsplatz für manche Frauen die größte Herausforderung. Auf jeden Fall ist es unerlässlich, wenn mehrere Generationen am Hof sind, dass es getrennte Bereiche gibt und die Zuständigkeiten geregelt sind. Auch die gleichwertige soziale Absicherung für die Frauen auf den Höfen ist oft noch ein Tabuthema, was dazu führt, dass viele Bäuerinnen nach der Karenz wieder in ihren Beruf einsteigen.
LECHLEITNER: Auch wenn man es oft auf den ersten Blick nicht gleich sehen kann, die treibende Kraft für eine Entwicklung in der Landwirtschaft, im ländlichen Raum und am Bauernhof sind meist die Bäuerinnen. Ein zentrales Thema ist für mich die Aus- und Weiterbildung der bäuerlichen Frau und deren Familie. Dazu gehört auch die Einkommenssicherung der Bäuerin insbesondere am Hof – entsprechende Maßnahmen müssen wir da weiterhin unterstützen. Dann gibt es natürlich noch Faktoren, die passen müssen, aber über die wir nicht so frei bestimmen können, wie zum Beispiel die Rahmenbedingungen für die Erhaltung und Pflege der Alm-, Weide- und Landwirtschaft. Mich persönlich beschäftigt auch die Frage, wie es uns weiterhin gelingen kann, unsere Werte zu vermitteln. Insgesamt finde ich, dass der Stellenwert der Frau im Bauernstand und in der Gesellschaft weiterhin gestärkt werden soll.
Was bedeutet es heute, Bäuerin zu sein?
BRUNSCHMID: Wir erleben gerade unsichere Zeiten. Gerade Corona hat aber aufgezeigt, dass das Leben am Bauernhof in solchen Zeiten viele Vorteile hat: Ob es die Versorgung mit eigenen Lebensmitteln, die Wohnsituation oder die Möglichkeit, täglich einer sinnvollen Arbeit nachzugehen ist – ich habe meine Zeit als Bäuerin selten so zu schätzen gewusst wie in Zeiten von Einkaufsbeschränkungen und verordnetem Homeoffice. Bei vielen innovativen Veränderungen sind die Bäuerinnen die „Schwungräder“. Viele kommen aus anderen Berufen und es ist meine Vision, diese Ausbildungen mit den Möglichkeiten am Hof zu kombinieren. Soziale Landwirtschaft wäre hier ein gutes Beispiel. Leider sind aber die politischen Rahmenbedingungen hierfür eine große Hürde. Daran müssen wir weiterarbeiten. Der landwirtschaftliche Betrieb muss wieder viel mehr als Chance und erstrebenswerter Arbeitsplatz wahrgenommen werden. Ich habe das Gefühl, die Zeit arbeitet in diese Richtung.
LECHLEITNER: Natürlich hat sich das Rollenbild der Bäuerin im Laufe der Zeit stark gewandelt. Das trifft auch auf ihre Zuständigkeiten und Aufgaben am Hof zu. Heute sind diese gänzlich anders als noch vor einigen Jahrzehnten. Die fortschreitende Technisierung und die damit verbundenen Innovationen haben auch einen wesentlich Beitrag zur Entlastung der Frauen in der Landwirtschaft geleistet. Mit der Zeit haben sich ebenso die Perspektiven und Herausforderungen für Frauen in der Landwirtschaft gewandelt. Im Berufsbild der „Bäuerin von heute“ sind für mich das Alte und das Neue vereint. Es gilt, Traditionen zu bewahren, aber gleichzeitig möchte man in seiner Entwicklung nicht stehen bleiben und auch moderne Aspekte aufnehmen. So ergibt sich ein durch und durch lebendiges Bild der heutigen Bäuerinnen – man ist traditionsbewusst, aber gleichzeitig innovativ, und das macht unseren Beruf so bunt, vielfältig und schön.

Was zeichnet eine Bäuerin heute aus?
BRUNSCHMID: Es ist nichts Neues, dass die Bäuerinnen der Mittelpunkt, ja das Herzstück des landwirtschaftlichen Betriebes sind. Wenn ein Hof keine Bäuerin hat, merkt man das schon beim Vorbeifahren. Gerade im Nebenerwerb übernehmen die Frauen oft mehr Verantwortung für die Betriebe, als ihnen guttut. Eine Umkehr der Rollen ist aber noch in weiter Ferne. Besondere Bedeutung kommt den Bäuerinnen auch in der Kommunikation zu. Für junge Familien spielt die Lebensqualität zunehmend eine wichtige Rolle und diese einzufordern und zu organisieren – auch gegen allfällige Widerstände – ist meist Frauensache. Aber auch die Aufklärung der entrückten Gesellschaft liegt oft in Frauenhand. Die Bäuerinnenorganisation leistet hier wichtige Vorarbeit, indem sie Unterlagen vorbereitet und die Bäuerinnen fit für ihren Auftritt macht. Das Netzwerk der Bäuerinnen ist auch verantwortlich dafür, dass die Frauen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und ihre rechtliche Situation laufend verbessert wird. Deshalb brauchen wir unsere Gemeinschaft und Frauen, die sich einbringen.
LECHLEITNER: Dazu fällt mir eine schöne Anekdote ein: „Bist du die Bäuerin?“, fragte mich neulich unser Gästekind Lena. Anscheinend entsprach mein Äußeres nicht ihren Vorstellungen. Auf dem Weg zum Stall – in Stiefel und Latzhose gekleidet – strahlte mich Lena an und meinte: „Jetzt siehst du aus wie eine echte Bäuerin!“. Da habe ich mich gefragt: „Wie sieht denn eine richtige, echte Bäuerin heute aus?“. Ein Blick in die Kinderbücher bestätigt ein etwas klischeehaftes Erscheinungsbild von Bäuerinnen. Aber sie haben sich verändert, weiterentwickelt und sind schon lange mit der Zeit gegangen, und das nicht nur äußerlich: Pädagogin, Direktvermarkterin, Unternehmerin, Bewirtschafterin, Ehefrau, Schwiegertochter, Schwiegermutter, Oma, Produzentin und Pflegerin sind nur einige der vielen Felder, die Frauen in der modernen Landwirtschaft bespielen. Bäuerin sein bedeutet Geschäfte abschließen, Entscheidungen treffen, Aufgaben auch delegieren und Verantwortung tragen. Bäuerinnen bilden sich weiter, gönnen sich schöne Dinge im Leben und machen auch Urlaub. Bäuerinnen nehmen sich Zeit für ihre Freunde, Familie und Interessen. Bäuerin sein beginnt für mich im Herzen. Bäuerinnen sind Bäuerinnen, weil sie es können und wollen.
Foto 1: Andrea Lechleitner ist Bäuerin am „Tobadillerhof" in Wenns. (privat)
Foto 2: Helga Brunschmid mit Jungvieh auf der Kammerköralm. (privat)

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